Porzellan neu erfinden - eine Traditionsbranche kämpft sich zurück

2023-01-05 15:56:37 By : Ms. Winni Lin

Totgesagte leben länger. Nach schmerzhaften Anpassungsprozessen haben die Betriebe der Porzellanindustrie wieder eine Zukunft. Seit Jahrzehnten kämpft die Branche mit der Krise, doch die Abwärtsentwicklung scheint gestoppt. Eine neue Käuferschicht begeistert sich in Deutschland für modernes Design und zeitgemäße Produkte. Dazu kommen interessante ausländische Märkte, auch wenn sie – wie derzeit Russland – schon mal schwächeln. Von Thomas Zorn

Der gesellschaftliche Wandel und eine mörderische Konkurrenz aus Fernost, die Geschirr zu Schleuderpreisen auf den Markt wirft, hatten viele Unternehmen in die Insolvenz getrieben. Früher gehörte ein komplettes hundertteiliges Service auf den Hochzeitstisch eines jeden jungen Paares, das etwas auf sich hielt.

Manche wurden gleich mit zwei Sets beschenkt, eines für den täglichen Gebrauch und eines für besondere Tage. Heute ist die Ehe eine Verbindung auf Zeit und die Aussteuer eine altmodische Idee.

Teller, Tassen und Becher für den Alltag packt man im Vorbeigehen bei einem Möbelhändler wie Ikea in den Einkaufskorb oder bestellt sie günstig per Computer. Wer mehr investieren möchte, kauft Einzelteile, die man im Laufe der Jahre aufstocken oder kombinieren kann.

Allmählich wird es wieder zu einer Sache des Prestiges, seine Gäste, die eigene Familie und sich selbst bei speziellen Gelegenheiten mit geschmackvollem Porzellan zu verwöhnen.

Die Unternehmen der Porzellanindustrie haben in der langen Leidenszeit dazu gelernt. Rationalisierung und Automatisierung zeigen Wirkung. Die Kosten für die Produktion wurden gesenkt, Überkapazitäten abgebaut.

Auf einem guten Weg scheinen die Unternehmen, die sich auf Porzellan für Hotel und Gastronomie konzentrieren. So hat BHS Tabletop schon vor Jahren Teller entwickelt, die mit einem Chip im Boden ausgerüstet sind und so die Abrechnung in Kantinen vereinfachen.

Christoph René Holler, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Keramischer Industrie, spricht insgesamt von „positiven Signalen“. Qualität spiele wieder eine Rolle. Der Umsatz der Porzellanindustrie stieg 2016 leicht um 0,2 Prozent auf gut 364 Millionen Euro. Vor allem im Inland zog die Nachfrage an. Sogar die Neugier auf die erlesenen Stücke der Manufakturen ist wieder deutlich gewachsen.

Ob hierzulande auch noch in Zukunft hochwertiges Porzellan produziert werden kann, entscheidet sich laut Holler bei der Vermarktung. „In vielen Städten sind die Fachgeschäfte verschwunden“, bedauert er.

„Porzellan lebt aber davon, betrachtet und befühlt zu werden.“ Das könne der Online-Handel nicht leisten. Deshalb seien Plattformen wichtig, wo deutsches Porzellan ausgestellt werde – wie noch immer in den Kaufhäusern.

Darüber hinaus haben renommierte Hersteller wie Meissen in Toplagen ausgesuchter Städte eigene Läden eröffnet. Mit dieser Manufaktur begann die Geschichte der europäischen Porzellanindustrie. August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, wollte ursprünglich aus minderen Materialien Gold machen lassen.

Seine Leute entdeckten dann zwar nicht den Stein der Weisen, doch dafür entrissen der Abenteurer und gelernte Apotheker Johann Friedrich Böttger und der Gelehrte Ehrenfried-Walther von Tschirnhaus vor rund 300 Jahren den Chinesen das Geheimnis der Porzellanherstellung.

Und das war damals Gold wert. Denn die europäischen Fürsten und der Adel waren verrückt nach Chinaporzellanen. Wie aus Kaolin, Feldspat und Quarz Porzellan entsteht, hatte man im Reich der Mitte schon im Jahr 620 herausgefunden. Die Kniffe bei der Produktion durften aber bei der Todesstrafe nicht verraten werden. Für die begehrten Importe mussten die Europäer immense Summen zahlen.

Wie es Tschirnhaus und Böttger schließlich gelang, „das weiße Gold“ zu erzeugen, würde ein eigenes Buch füllen. 1708 war es jedenfalls soweit. Die beiden Pioniere hatten in der Jungfernbastei der Festung Dresden das erste Hartporzellan außerhalb Asiens erzeugt.

1710 wurde dann in Meißen die erste europäische Porzellanproduktionsstätte eingerichtet. Die kostbare Ware, mit gekreuzten blauen Schwertern markiert, fand in den besten Kreisen Europas reißenden Absatz. Zunächst imitierte man noch die Vorbilder. Um 1740 wurden dann die chinesischen und japanischen Dekore von deutschen Blumen abgelöst. Auch das bis heute beliebte Zwiebelmuster in Unterglasurblau kam auf dem Markt.

Meissen ist immer wieder zurückgekommen.

Doch die sächsische Manufaktur begann sich auf dem Erfolg auszuruhen. Die Bedürfnisse bürgerlicher Käuferschichten wurden ignoriert. Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe wunderte sich bei einem Besuch in Meißen im April 1813: „Es ist eigen und beinahe unglaublich, daß man wenig darin findet, was man in einer Haushaltung besitzen möchte.“ Doch mit veränderten Produktionsprogrammen, Formen und Motiven wurde der Absatz wieder angekurbelt.

Das Auf und Ab kennzeichnet die Firmenhistorie. Meissen ist jedoch immer wieder zurückgekommen. Die letzte Sackgasse war die 2008 verkündete Strategie, das Angebot mit Luxusmode, -uhren und -möbeln zu erweitern. 2015 kehrte das dem Land Sachsen gehörende Unternehmen zum Kerngeschäft, dem Porzellan, zurück.

Der neue Geschäftsführer Tillmann Blaschke präsentierte neue erschwingliche Serien, spülmaschinenfest und reduziert im Design. Ein Speiseteller aus der Reihe „Stripes“ mit einem Rand aus blauen, gelben und schmalen goldenen Streifen kann zum Beispiel schon für knapp unter 100 Euro erworben werden.

Aber das weltbekannte Unternehmen bedient parallel noch immer die Vorlieben einer exklusiven Kundschaft mit handgemalten Serviceserien und limitierten Objekten für Sammler. Eine Teekanne mit filigranem Floraldekor – nach einem Entwurf von 1739 – ist für 45.000 Euro zu haben.

Jede Blüte auf dem bezaubernden Gefäß wird einzeln gesetzt. Meissen offeriert auch weiterhin kunstvolle Porzellanfiguren, die besonders die Amerikaner lieben. So muss man für ein indisches Panzernashorn, erstmals 1732 fabriziert, 18.000 Euro hinblättern.

Dass die Gegenwart in Meißen nicht ausgeklammert bleibt, demonstriert das Kreativ-Duo „Kuball & Kempe“. Das Unternehmen ließ sich von den Designern beraten. Eine Handwaschschale von 1720 lebte dank der beiden als Sushi-Platte wieder auf. Sogar eine Müslischale wurde ins Sortiment eingeführt. „Wir revitalisieren die Produkte von Traditionsmanufakturen, zerstören dabei aber nicht den Markenkern“, lautet ihr Credo.

Auch andere altehrwürdige Häuser wie Fürstenberg oder das 2009 vom italienischen Haushaltswarenhersteller Sambonet Paderno übernommene Rosenthal bringen inzwischen Altes und Neues in die Balance. Originelle Entwürfe braucht die diffizile Branche.

Wie erfolgreich man damit sein kann, hat die gebürtige Stuttgarterin Stefanie Hering bewiesen. Ihre Stücke, die sie in einer kleinen Manufaktur in Thüringen produzieren lässt, sind weltweit gefragt. Schauspielerin Nicole Kidman deckte sich mit einem ganzen Set für Thanksgiving ein. Auch Star-Moderatorin Oprah Winfrey und US-Fotografin Cindy Sherman gehören zu den Kunden.

Herings Geschäft in Berliner Top-Lage an der Hardenbergstraße nahe dem Bahnhof Zoo ist eine Pilgeradresse für alle, die edles Porzellan als Ausdruck eines aktuellen Lebensgefühls begreifen. Mit klaren, puristischen Formen inszeniert die gelernte Keramikerin den traditionellen Werkstoff ganz anders. Sie pointiert das Spiel von Glasur und mattem Biskuit und bearbeitet das Material mit Rillen oder Löchern. Medien haben sie als „Retterin der Tafelrunde“ tituliert. Sogar die saudische Königsfamilie ist begeistert.

Christoph René Holler vom Bundesverband Keramischer Industrie warnt trotz der jüngsten Erfolge davor, alles gleich rosarot zu sehen. Die Porzellanindustrie „made in Germany“ habe mit hohen Personal- und Energiekosten zu kämpfen. Umweltstandards würden beachtet, Tariflöhne gezahlt, beste Qualität geliefert. „Am Ende stellt sich aber die Frage, ob der Markt den Preis zahlt, den ich brauche?“ Holler ist zuversichtlich, dass dies gelingen wird.

Interview mit Jörg Köster, Geschäftsführer der Höchster Porzellanmanufaktur

Deutsche Porzellanmanufakturen genießen Weltruf. Warum haben sie es trotzdem so schwer? Nach wie vor haben die Manufakturen zu viele Service im Angebot. Die Höchster Porzellanmanufaktur war davon nie so abhängig. Wir sind mit unseren Wohn- und Geschenkaccessoires gut aufgestellt.

Wird Qualität nicht ausreichend honoriert? Das ist nicht das Problem. Es geht darum, dem Konsumentenverhalten Rechnung zu tragen und das Sorti- ment entsprechend der Nachfrage zu entwickeln.

Braucht es neue Vermarktungswege? Das Internet wird immer wichtiger, aber auch im Einzelhandel sollte man vertreten sein. Zudem spielt der Export eine große Rolle. Wir führen beispielsweise nach China und Korea aus und wollen demnächst auch in Japan vertreten sein.

Und was ist mit dem heimischen Markt in Frankfurt? Wir eröffnen im nächsten Jahr ein Ladenlokal in der neuen Altstadt. Mit unseren Vasen, Schalen, Kerzen- ständern und Skulpturen liegen wir dann mitten im Strom der Touristen.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Print-Ausgabe. Sie wollen schneller informiert sein? Hier können Sie ein Abonnement abschließen.

© 2001-2023 Top Magazin Frankfurt